BUND LÄNDER Demografie Portal

Expertinneninterview


Katrin Konrad ist Geschäftsführerin des „Verbands kinderreicher Familien Thüringen e.V.“ und setzt sich aktiv für die Interessen von Familien ein. Im Interview spricht sie über den Stellenwert der Familie in unserer Gesellschaft und was getan werden kann, um Familien zu stärken.

Wie kinderfreundlich ist Thüringen denn eigentlich?

Wenn man auf die Struktur von Familien und die Anzahl der in Familien lebenden Kinder schaut, ist Thüringen im Grunde „Ein-Kind-freundlich“– ein Trend, der seit der Wiedervereinigung besteht. Über die Hälfte aller Thüringer Familien leben auch heute noch mit einem Kind. Und das, obwohl sich die Infrastruktur für Kinderbetreuung mit den zwei kostenfreien Kindergartenjahren wirklich sehen lassen kann. Das zeigt, dass die Entscheidung für mehrere Kinder an anderen Fragen scheitert. Wir brauchen einfach eine bessere Stimmung für Familien, einen Wandel, bei dem auch die Politik bei ihren Entscheidungen die Belange von Kindern und Familien stets mitdenkt. Prominentes Negativbeispiel ist das Deutschlandticket. Da haben es auch die Bundesländer vergessen, sich für ein bezahlbares Kinder-Deutschlandticket einzusetzen. Das zeigt, wo wir Familien gerade stehen – irgendwie am Rand.

Was müsste Ihrer Meinung nach geschehen, damit sich mehr Thüringerinnen und Thüringer dazu entscheiden, (mehr) Kinder zu bekommen?

Familie muss einfach wieder in den Mittelpunkt. Sie ist die Basis unserer Zukunft, unseres Zusammenlebens, auch unseres Glücks. Das wird viel zu wenig kommuniziert und kollidiert auch mit den Weltbildern, die über angesagte Social-Media-Trends jungen Menschen vermittelt werden. Viele fragen sich heute, warum sie sich für ein eingeschränktes Leben mit Kindern entscheiden sollen. Vielleicht versteckt sich dahinter auch eine gewisse Angst, Verantwortung zu übernehmen und Veränderungen akzeptieren zu müssen. Gerade gut ausgebildete Frauen brauchen beispielsweise eine verlässliche Berufsperspektive trotz oder gerade mit Kindern. Kinder dürfen keinen Karriereknick hervorrufen, das muss einfach viel deutlicher in den Köpfen von Arbeitgebern ankommen. Ich denke, wir müssen auch die finanziellen Rahmenbedingungen verbessern, indem Arbeitnehmer mit Kindern beispielsweise weniger Sozialabgaben zahlen müssen.

Vorbild kann die seit Juli 2023 eingeführte Staffelung in der Pflegeversicherung sein. Diese Idee sollte auch bei Renten- und Krankenversicherung verfolgt werden. Der generative Beitrag für die eigene Rente sollte länger als drei Jahre in der Rente berücksichtigt werden. Rentenpunkte genügen im Umlagesystem der Rente nicht.

Grundsätzlich braucht es auch ein neues Image für Familien. Dazu tragen Medien und Kampagnen bei. Manchmal wünscht man sich da auch von den öffentlich-rechtlichen Medien ein stärkeres Pro. Es wäre schön, wenn Journalisten die Frage nach den Folgen für Familien bei vielen politischen Entscheidungen einfach öfters stellen würden. Dann würden auch Politiker viel stärker darauf achten.

Die Innovationskraft in modernen Gesellschaften ist sehr abhängig davon, dass möglichst viele Kinder geboren werden und sich gut entwickeln. Das muss allen bewusst sein, denn daran hängt letztlich auch die gemeinschaftliche Wohlstandsperspektive. Spätestens wenn gut ausgebildete junge Menschen wegen besserer Rahmenbedingungen für Familien in Größenordnungen nach Skandinavien auswandern, werden auch hier entsprechende Stellschrauben gefunden, um wieder einen Heimvorteil für Familien zu schaffen. Soweit muss es aber nicht erst kommen.

Langfristig ist jedes Kind ein Gewinn für die Vielfalt unserer Gesellschaft.

Mit Ihrem Verein vertreten Sie hauptsächlich die Interessen von Familien mit drei oder mehr Kindern. Ein zentraler Baustein hierbei ist die Mehrkindfamilienkarte, die 2022 mit dem Thüringer Demografiepreis ausgezeichnet wurde. Was genau kann man sich darunter vorstellen?

Seit 2019 können Familien mit drei und mehr kindergeldberechtigten Kindern damit verschiedene Partner im Kultur- und Freizeitbereich in ganz Thüringen besuchen. Bei Vorlage der kostenfrei vom Verband ausgestellten Karte entfallen für die Familien Eintritte ab dem dritten Kind. Dies entlastet die Familien finanziell und macht die zehn Prozent der Thüringer Familien sichtbar, die 20 Prozent der Thüringer Kinder erziehen. Mehrkindfamilien können auf diese Weise gemeinsame Freizeitangebote erleben, tanken Kraft und Energie, lernen, lachen und erleben ungezwungene Situationen außerhalb des Alltäglichen. Das schafft positive Momente unter den Geschwistern sowie zwischen Eltern und Kindern. Es stärkt für den Alltag als kinderreiche Familie.

Thüringen ist in den letzten Jahren zum Zuwanderungsland geworden. Jedes siebte hier geborene Kind hat eine ausländische Staatsangehörigkeit. Spiegelt sich diese Entwicklung bereits in Ihrer Mitgliederstruktur wider? Wie können Familien mit Migrationshintergrund stärker angesprochen und eingebunden werden?

Noch spiegelt sich das nicht in diesem Maße wider, aber manche Entwicklung kommt eben nachgelagert in den ehrenamtlichen Strukturen an. Wir als Verband kinderreicher Familien Thüringen e. V. fördern, schützen und unterstützen kinderreiche Familien. Wir sind selbstlos tätig und verfolgen ausschließlich gemeinnützige Zwecke. Der Verband agiert innerhalb der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland und ist politisch und konfessionell ungebunden.

Jede Familie kann sich unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit in die Verbandsarbeit einbringen und mit ihrer Mitgliedschaft die Arbeit bereichern.

Weitere Informationen
Mehrkindfamilienkarte Thüringen
Pressemitteilung Thüringer Landesamt für Statistik vom 5.12.2024 Geburtenrate nichtdeutscher Frauen in Thüringen

 

Diesen Beitrag teilen

Zurück